Eine dicke Wolke hängt über dem Museum de Fundatie in Zwolle. Das liegt jedoch nicht daran, dass gerade schlechtes Wetter wäre. Nein, es handelt sich um moderne Architektur. Der klassizistische Bau des Kunstmuseums ist in den Jahren 2012/2013 nach Plänen des Architekten Hubert-Jan Henket erweitert worden. Als Anbau erhielt das Museum ein großes ellipsenförmiges Gebäudeteil in Hellblau aufs Dach. Nicht nur als Wolke, auch als Auge, als Ufo oder Zeppelin oder als Dinosaurier-Ei wird es bezeichnet. Zwei zusätzliche Ausstellungsräume mit einer Gesamtfläche von 1000 Quadratmetern sind mit diesem Aufsatz geschaffen worden. Das damit entstandene Zusammenspiel von Alt und Neu ist faszinierend. Als ich Fotos davon sah, habe ich mir gleich vorgenommen, schon bald einen Ausflug nach Zwolle zu unternehmen. Die nah an der deutschen Grenze gelegene Provinzhauptstadt der niederländischen Provinz Overijssel ist schließlich nicht weit von meiner Heimatstadt Wuppertal entfernt.
Als ich mich nach etwa 2 Stunden Fahrt mit dem Auto der alten Hansestadt Zwolle nähere und auf der Straße, die seitlich um die Altstadt herumführt, kurz einen Blick auf das Museum erhasche, rufe ich auch gleich ein lautes “Wow!” aus. Ich steuere den empfohlenen, nahegelegenen Parkplatz an und laufe von daaus direkt zum Museum. In der schmalen Altstadt-Gasse, durch die ich dorthin laufe, ist das riesige Teil auf dem Dach schon vom Weiten zu sehen, denn es überragt die Giebel der mittelalterlichen Häuser. Ich muss der Wolke also nur folgen.
Im Museum treffe ich mich mit Teo van den Brink, Marketingcoordinator des Hauses, der mich durch das Gebäude führt. Wir nehmen schließlich Platz im Museumscafé, an der weißen geschwungen Theke, die in dem Innenraum der Wolke platziert ist, nah an der breiten Glasfläche, die in die Hülle eingelassen ist und einen schönen Ausblick auf die Dächer von Zwolle bietet. “Das Besondere an dieser Wolke ist, dass die Außenansicht so schön mit dem Wetter korrespondiert. Bei bedecktem Himmel erscheint sie auch eher grau. Doch wenn die Sonne scheint, zeigt sie sich strahlend in Hellblau”, erzählt van den Brink. “Das große Bauteil ist auf der Außenseite mit 55.000 Keramikteilen verkleidet, die verschiedene Formen haben und alle handbemalt sind in Weiß und Hellblau”, erklärt er weiter. Seit das Museum um diesen Aufbau ergänzt wurde, habe sich die Besucherzahl deutlich erhöht, bestätigt er. Vor zehn Jahren waren es etwa 30.000 Besucher im Jahr. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl auf 250.000. Viele Besucher lassen sich ganz offenbar auch von der neuen Architektur zur Kunst locken.
Ein Besuch in dem Museum lohnt sich natürlich nicht nur, um die Architektur zu erkunden, sondern auch für die jeweiligen Sonderausstellungen und ebenso für die ständige Sammlung, die unter anderem Werke von Van Gogh, Degas, Archipenko und Mondrian umfasst. Auch vier großformatige Gemälde von Neo Rauch sind zu sehen. Das ist ein kleiner Trost für mich, da ich die große Sonderausstellung zu Neo Rauch mit meinem Ausflug nach Zwolle terminlich knapp verpasst habe. Dafür kann ich die Schau zu dem bekannten niederländischen Bildhauer Ronald A. Westerhuis besichtigen. Anlässlich der Sonderausstellung ist auch eine große spiegelnde Skulptur von ihm vor dem Museum platziert, wie auf dem nebenstehenden Bild zu sehen ist.
Nach der Besichtigung des Kunstmuseums ist erstmal eine weitere gemütliche Kaffeepause angesagt. Dafür bietet sich das schöne Café in der Villa Suikerberg an, das sich neben dem Museum befindet, aber auf der von der Altstadt abgewandten Seite. Dort gibt es eine große Auswahl an köstlichen, üppig mit frischen Zutaten belegten Sandwichs, die sich für eine Stärkung am Mittag anbieten. Und noch ein Tipp: Ich mag auch das Café Foyer gegenüber vom Haupteingang des Museums. Das gehört zu dem kleinen Theater Odeon, es hat Plätze im Foyer und draußen vor dem Gebäude, von denen sich schön auf das Museum mit der Wolke blicken lässt. In der Altstadt von Zwolle herrscht ohnehin eine riesige Auswahl an Cafés, Kneipen und Restaurants. Bummeln, Shoppen und Genießen ist hier wirklich angesagt.
Zusätzlich zum Museum gibt es noch eine weitere spannende Kombination aus Alt und Neu, die mich in die Stadt gelockt hat. Das ist die traditionsreiche Buchhandlung Waanders, die in die alte Broerenkerk, die alte Brüderkirche eingezogen ist. Damit hat der Buchhändler und Verleger Wim Waanders eine Vision für seine Buchhandlung umgesetzt. Denn er hat nicht einfach nur ein paar Bücherregale und eine Kasse dort hineingestellt, sondern den Kirchenraum zu einem ganz besonderen Ort für Liebhaber von Büchern und Genuss umgestaltet.
Ende der 1980er Jahre wurde die Kirche restauriert und in diesem Zuge sind zarte Wanddekorationen im Deckengewölbe entdeckt worden. Nach Fertigstellung erstrahlte der Innenraum der Kirche in hellem Beige mit feinen Fresken. Davon erzählt mir Ellen Waanders, die Tochter des Buchhändlers und Verlegers. Die Kirche wurde jedoch bald nicht mehr für Gottesdienste genutzt. Und so kam Wim Waanders auf die Idee, mit seiner Buchhandlung dort einzuziehen, und nahm dafür im Jahr 2008 Gespräche mit der Stadt auf. “Mein Vater hat darüber nachgedacht, wie sich Leute in Zeiten des Online-Handels immer noch für Buchhandlungen interessieren lassen. Es war ihm klar: Es gilt einen Ort zu schaffen, an dem sie etwas erleben”, sagt Ellen Waanders. Ihr Vater gab nicht auf, suchte sich einen guten Architekten, überzeugte die zuständigen Leute bei der Stadt von seinen Plänen, und so konnte 2012 der behutsame Umbau der Kirche starten. Die Eröffnung der Buchhandlung In den Broeren folgte im Sommer 2013.
Der besondere Clou dran: Die Etagen, Galerien, und Treppen, die eingefügt wurden, sind allesamt selbsttragend und nicht an der historischen Bausubstanz, an den Wänden und Säulen befestigt. An der rückseitigen Wand der Kirche thront unverändert die große Orgel, die noch voll funktionstüchtig ist. In dem Teil, in dem früher der Chor war, ist heute ein Café eingerichtet. Dort erstrahlt zudem ein Kirchenfenster in leuchtenden Farben, das von dem Künstler Kjell Nupen eigens für den neuen Kirchenraum gestaltet wurde. Ein ganz besonderes Café ist damit entstanden, in das schon direkt nach Geschäftsöffnung morgens um 10 Uhr die ersten Besucher kommen, wie ich an meinem ersten Morgen in Zwolle gleich feststelle. Ich habe meinen Gesprächstermin mit Ellen Waanders zwar erst am nächsten Mittag, aber ich bin so neugierig, dass ich schon mal vorab in die Bücherkirche schauen will. Mein Plan ist auch, möglichst schon ein paar Fotos zu machen, wenn kurz nach Öffnung noch nicht so viele Besucher dort sind. Das ist eine gute Idee, denn am Mittag ist es dort rappelvoll, wie sich mir noch zeigen wird. Das Café serviert neben Kuchen auch einige herzhafte Gerichte und setzt vor allem auf regionale Produkte. Bei meinem späteren Besuch im Café probiere ich die Senfsuppe, denn das ist eine Spezialität in Zwolle.
Ellen Waanders ist gelernte Hotelfachfrau und im Familienunternehmen für die Events in der Bücherkirche verantwortlich. Sie veranstaltet dort Lesungen, Kunstausstellungen oder auch Konzerte. Am Karfreitag dieses Jahres fand dort sogar die Aufführung der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach mit Orchester, Chor und Solisten statt. “Das waren viele Musiker und fast 200 Konzertbesucher haben hier im Kirchenraum gesessen. Da war ich schon etwas aufgeregt. Aber es hat alles gut geklappt. So etwas wollen wir wieder machen”, erzählt sie lächelnd. Ich löffele genüsslich die köstliche Senfsuppe und bin beeindruckt, was hier entstanden ist. Einen besonderen Ort hat Zwolle damit erhalten und mit neuem Leben gefüllt. Ein Treffpunkt zum Stöbern und Genießen, der nicht nur Touristen anzieht, sondern den auch die Einwohner der Stadt ganz besonders schätzen, das ist deutlich zu spüren.
Wer nach Museum und Bücherkirche noch weitermachen möchte mit Kunstbesichtigungen, dem hat Zwolle noch mehr zu bieten. Der sollte einen Ausflug zum Landgoed Anningahof unternehmen. Auf dem weitläufigen Gelände des ehemaligen Bauernhofs, der etwa 6 Kilometer vor der Innenstadt von Zwolle liegt, lädt ein Skulpturenpark zum Besuch ein. 84 Werke sind derzeit auf dem Außengelände zu sehen. Etwa 80 kleinere Arbeiten sind zudem in mehreren Innenräumen zu besichtigen und größtenteils auch zu kaufen. Denn der Anningahof versteht sich als Museum und Galerie. Inhaber Hib Anninga hat sich Zeit genommen und führt mich über den 800 Meter langen Rundgang durch den schön angelegten Park, der einen kleinen und einen großen, langgestreckten Teich umfasst, wo Seerosen blühen und Schilf, Gräser und Wildblumen wachsen.
Über uns ziehen diesmal echte Wolken und verdichten sich bedenklich, doch wir haben Glück, es bleibt trocken, und ich kann eine Stunde mit dem 77-jährigen Kunstkenner durch seinen Park wandeln. Hib Anninga erzählt begeistert von den Skulpturen und den Künstlern, von den verschiedenen Konzepten ihrer Arbeit. “Mir kommt es vor allem auf die Vielfalt an. Daher finden sich hier ganz verschiedene Werke”, erklärt er. Die Zusammenstellung in seinem Park zeigt vor allem einen Überblick über die niederländische zeitgenössische Bildhauerkunst. Bekannte Namen sind dabei, wie beispielsweise Arbeiten von Tom Claassen, Cornelius Rogge und Shinkichi Tajiri oder auch von der deutschen Künstlerin Anne Wenzel, die in Rotterdam lebt und arbeitet. Auch Werke noch weniger bekannter aber aus Sicht von Hib Anninga sehr begabter Künstler sind vertreten, diese Art von Förderung ist dem Kunstkenner wichtig. In jeder Saison wechselt ein Teil der Werke, und so ist auf dem Anningahof auch immer wieder Neues zu sehen.
Dieser Skulpturenpark auf dem Hof seiner Eltern, das ist die Leidenschaft von Hib Anninga. Er hat ihn aufgebaut, seit er den Hof seiner Eltern 2004 übernommen hat. Zuvor lebte er in Amsterdam, arbeitete dort als Finanzbeamter und war nebenberuflich als Kunstsammler und Kunsthändler tätig. “Im Grunde ist das hier ein außer Kontrolle geratenes Hobby”, sagt er und grinst. Es lohnt sich, diesen liebevoll gepflegten Park mit so vielen hochwertigen Arbeiten zu besichtigen.
Voller Eindrücke fahre ich zurück nach Zwolle. Auf dem Weg vom Parkplatz zu meiner Unterkunft, einem privaten Bed & Breakfast in der Altstadt, laufe ich am mittelalterlichen Stadttor Sassenpoort vorbei, das mit seinen sechs Spitzen auf den Türmen eine ebenso stattliche wie elegante Figur macht. Die Unterkunft ist in einem schmalen, denkmalgeschützten Haus untergebracht. Eine für alte niederländische Häuser typische steile Treppe führt hinauf in die zweite Etage, dort befindet sich mein großes gemütliches Zimmer mit Dachschrägen. Durch das Dachfenster schaue ich in den blauen Himmel des Sommerabends. Es gibt auch eine kleine Raucherterrasse auf dem Dach, wie mir die Inhaberin bei der Schlüsselübergabe erklärte. “Auch wenn Sie nicht rauchen, sollten sie dort mal raufgehen”, so lautete ihr Tipp. Ich kraxel also die noch schmalere, steile Treppe hinauf und erfreue mich an dem Blick über die Dächer der Stadt und auf das Sassenpoort, das ich von hieraus nochmal sehe. Ein schöner Ausblick am Abend nach einem erlebnisreichen Tag.
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Ich bin vom Niederländischen Büro für Tourismus & Convention (NBTC) und der Stadt Zwolle zu der Städtetour zum Thema Kunst in Zwolle eingeladen worden. Im Rahmen dieser Einladung habe ich im schönen Bed & Breakfast Bij de Sassenpoort mitten in der Altstadt gewohnt.
Weiterer Blogartikel über Zwolle
Auf die Stadt Zwolle, vor allem das Museum de Fondatie und die Bücherkirche bin ich durch den Artikel “Genießen in Zwolle” auf Simones Blog “Nach Holland” aufmerksam geworden. Simone gibt in ihrem Beitrag auch Tipps, wo es sich fein speisen lässt in Zwolle.
Museum de Fondatie
Die Sonderausstellung zu dem Bildhauer Ronald A. Westerhuis ist noch bis 2. September 2018 im Museum de Fondatie zu sehen. Zum Museum gehört als weiterer Standort auch das etwa 15 Kilometer von Zwolle entfernt liegende Kasteel het Nijenhuis, in dem ebenfalls Kunstausstellungen zu sehen sind. Im Außenbereich befindet sich auch ein Skulpturenpark, in dem mehr als 90 Skulpturen zu besichtigen sind.
Mehr Infos über das Museum de Fondatie
Bücherkirche
Die Buchhandlung Waanders In de Broeren ist im Zentrum von Zwolle sogar ausgeschildert. Sie befindet sich an der Straße Achter de Broeren. Der große Kirchenbau thront direkt am Einkaufszentrum der Stadt und ist natürlich nicht zu übersehen.
Mehr Infos über die Buchhandlung Waanders In de Broeren
Skulpturenpark Landgoed Anningahof
Der Skulpturenpark liegt am Hessenweg 9 in Zwolle und ist dieses Jahr noch bis 28. Oktober geöffnet, immer mittwochs bis sonntags von 13 bis 18 Uhr. Die kommende Saison beginnt dann wieder im Mai 2019.
Mehr Infos zum Anningahof
One Reply to “Wo die Wolke lockt – Kunst in Zwolle”